PhilippHujo beschreibt seine PraktischeStudienzeit bei einer Anwaltskanzlei.
Die Kanzlei
Die Kanzlei ist nicht mehr so groß wie zu der Zeit, als ich mein schulisches Betriebspraktikum dort absolvierte. Zur Zeit arbeiten hier noch zwei RAe. Ich bin einem RA zugeteilt und werde von ihm jede Woche eine knifflige Sache zur Bearbeitung bekommen. Bei den Gerichtsverhandlungen begleite ich beide RAe, sofern ein Fall für mich interessant ist. Da viel zu tun ist, bedarf es einem großen und funktionstüchtigen Büroapparat. So arbeiten in der Kanzlei neben 5 festangestellten Sekretärinnen noch zwei Auszubildende und eine junge Praktikantin, die ebenfalls ein Betriebspraktikum in der Kanzlei macht.
Der erste Tag (Montag, der 15.03.04)
Heute durfte ich Akten lesen, genauergesagt eine Akte. Aber der Fall hatte es wirklich in sich und deshalb verbrachte ich auch den ganzen Tag damit. Nun, da ich meine Verschwiegenheit garantieren muss nur soviel. Es ging um einen Schadensersatzanspruch Die Problematik liegt darin, wer für den Schaden haftet. Schließlich habe ich mich noch ein wenig auf die morgige Gerichtsverhandlung eingestimmt und zum ersten mal einen Bußgeldbescheid zu sehen bekommen. Ich habe so etwas vorher noch nie gesehen; wirklich!
Der zweite Tag (Dienstag, der 16.03.04)
14 Uhr Gerichtstermin: Schlecht ist's wenn man den Raser nicht zweifelsfrei identifizieren kann; Verfahren eingestellt. Bei dem Fotografen hätte ich für so ein schlechtes Bild auch nicht bezahlt Meine nachmittagliche Lektüre bezog sich auf einen Verkehrsunfall mit dem Schwerpunkt 'fahrlässige Tötung'. Sehr interessant aber gleichsam tragisch. Mit dem Fall werde ich mich morgen noch ein wenig auseinandersetzen müssen, da wir Fahrlässigkeitsdelikte noch nicht durchgenommen haben. Vielleicht sollte ich mein Lehrbuch mitnehmen.
Der dritte Tag (Mittwoch, der 17.03.04)
Heute bewaffnet mit Lehrbuch und unter Zuhilfenahme eines schönen Falles das strafrechtliche Fahrlässigkeitsdelikt gelernt. Zur Aufmunterung dann die Bestimmungen über die elektrische Leitfähigkeit von Honig in der Honigverordnung (HonigV) im BGBl vom 16.01.04 nachgelesen.
Der vierte Tag (Donnerstag, der 18.03.04)
Zwecks Vorbereitung auf den heute anstehenden Gerichtstermin lese ich mir sorgfältig den Sachverhalt durch. Unser Mandant wird beschuldigt den Tod eines Haflingerpferdes verursacht zu haben, indem er frisch gemähtes Gras nahe der Pferdekoppel aufhäufte und das Pferd nach dem Fressen des angegorenen Grases an einer Kolik verendete. Sehr interessant waren hierbei die Ausführungen der Tierärztin. Ab heute weiß ich, dass der Darm eines Pferdes 60 Meter lang ist... Problemschwerpunkt war also Kausalität, Zurechnung, wobei auch die Beweisführung sehr interessant war.
Am Nachmittag beschäftige ich mich mit Haftungsrecht, insbesondere mit der Arzthaftung und gestehe, jetzt doch ein anderes Bild von den Halbgöttern in Weiß zu haben Die Fälle finde ich in einer Zeitschrift für Versicherungsrecht. Um nur kurz zwei Beispiele zu nennen, so ging es zB um eine Schmerzensgeldforderung nach Fehldiagnose "Hodenkrebs",sowie eine Forderung auf Schmerzensgeld und monatl Rentenzahlung nach zu spät eingeleitetem Kaiserschnitt, durch dessen Verzögerung es zu einer Hirnschädigung des Säuglings kam, etc
Der fünfte Tag (Freitag, der 19.03.04)
Heute: Besprechung des mir übergebenen Falles und Einschätzung der Rechtslage meinerseits. Fraglich ist, wie man den Hersteller anstatt des eigentlichen Vertragspartners belangen kann... dieses Problem führt mich zum ProdukthaftungsG, welches glücklicherweise nur 19 Paragraphen umfasst. Am Wochenende werde ich mir darüber noch Gedanken machen müssen. Durch Zufall entdecke ich einen ähnlich gelagerten Fall. Es geht dort um die Haftung des Lieferanten bzw. Herstellers eines Sandwiches mit eingebackener Schraubenmutter. Es hieß mal eisenreiche Nahrung sei gesund.
Der sechste Tag (Montag, der 22.03.04)
Der Tag beginnt mit einer beendenden Besprechung des Falles und endet mit einer beginnenden Einsicht der morgen anstehenden Sache.
Der siebente Tag (Dienstag, der 23.03.04)
Termin beim Landgericht Frakfurt/Main. In dem gleichen Gebäude fanden damals die Terroristenprozesse statt. Aus Sicherheitsgründen werden wir sogar durchleuchtet und unsere Ausweise kontolliert. So aufregend wie das Drumherum war unser Fall dann leider nicht. Inhaltlich ging es um ein Scheingeschäft gem. §117 BGB im Zusammenhang mit einem Grundstückskaufvertrag. Im Wesentlichen bestand die Verhandlung aus einer umfangreichen Zeugenaussage des Immobilienmaklers. Interessant wäre es, den Fall in strafrechtlicher Hinsicht weiterverfolgen zu können... doch darum wird sich wohl die Staatsanwaltschaft kümmern. Der gleiche Stoff war übrigens Inhalt unserer BVR-Klausur... und da soll noch einer sagen, was wir lernen sei realitätsfern.
Der achte Tag (Mittwoch, der 24.03.04)
Eine enge, dunkle Straße in einer nebligen Nacht, gänzlich ohne Fahrbahnmarkierung. Beide Fahrer waren auf ihrer Seite, sagen sie. Sie beide fahren ohne Spiegel weiter. Es kann keinem Beteiligten ein Verschulden nachgewiesen werden. Die Unfallschilderungen widersprechen sich; neutrale Zeugen oder sonstige Beweismittel stehen nicht zur Verfügung. Es haftet somit jeder aus der von seinem Fahrzeug ausgehenden Betriebsgefahr ( §§ 7 Abs. 1 und 17 StVG ) Verschuldenshaftung ./. Gefährdungshaftung
Der neunte Tag (Donnerstag, der 25.03.04)
Wann ist eine fristlose Kündigung gerechtfertigt? Das werde ich heute lernen. Kurztermin im Arbeitsgericht und danach Start ins Wochenende. Weil ich so fleißig war, darf ich den Freitag frei machen.
Der zehnte Tag (Freitag, der 26.03.04)
Gute Juristen schaffen ihre Arbeit auch in einer 4-Tage Woche.
Der elfte Tag (Montag, der 29.03.04)
§ 303 StGB. Heute lerne ich, wie man am besten eine Radaranlage zerstört... und zwar in allen denkbaren Formen Freue mich aber auch auf morgen... §§ 224 ff. Da lerne ich, wie man am besten... dann noch, fast vergessen: Begutachtung eines Videos... nein wir haben keinen Videoabend gemacht. Die Polizei macht nun wirklich keine spannenden Filme. Sie tut dies allein um uns unsere Vergehen gg die STVO zu dokumentieren. Hier wurde der Mandant beschuldigt auf der Autobahn den vorgeschriebenen Sicherheitsabstand zum voranfahrenden PKW um mehr als 2/10 unterschritten zu haben. Jeder kennt die Streifen auf der Autobahn, die zwecks Messung aufgetragen werden. Auf der Brücke befinden sich dann zwei Kameras die Nah- und Fernbereich filmen und darunter, neben der Fahrbahn eine Kamera, die ganz tolle Passbilder schießt; schießen könnte. Entscheident ist, dass dem beschuldigten Fahrer eine Unterschreitung auf längerem Zeitraum nachgewiesen werden kann. Das fällt mir mit meinen ungeübten Augen nicht ganz leicht. Ich hoffe Richter haben bessere Augen.
Der zwölfte Tag (Dienstag, der 30.03.04)
Fall "Russendisko": Gemeinschaftlich begangener Diebstahl unter den Voraussetzungen des besonders schweren Falles §§ 242, 243 I, 25 II StGB. Erste Einblicke in das Jugendstrafrecht: Bestrafung eines Heranwachsenden nach §§ 105 I und 1 JGG, sowie eines Jugendlichen nach § 3 JGG --> Ergebnis: Wochenendarrest und gemeinnützige Arbeitsauflagen. In den Ermittlungsakten finde ich ausserdem ein Gutachten der Jugendgerichtshilfe, sowie Blutalkohol- und Forensisch-Toxikologisches Gutachten.
Der dreizehnte Tag (Mittwoch, der 31.03.04)
Eine Episode aus dem Baurecht: Wer haftet eigentlich wann und warum, wenn Dritte während des Hausbaus geschädigt werden. Da ging es hauptsächlich um Verkehrssicherungpflichten des Bauunternehmers, des Bauherrn und des Architekten. Wenn man allerdings Ziegeln auf das Haus des Nachbarn wirft, kann der Architekt auch nix dafür, oder? Naja. Literaturtipp: "Der Bauprozess" von Werner/Pastor
Der vierzehnte Tag (Donnerstag, der 01.04.04)
Habe ich schon erwähnt, dass Juristen ihre Arbeit auch innerhalb von drei Wochentagen erledigen können?
Der fünfzehnte Tag (Freitag, der 02.04.04)
Frei-Tag
Der sechzehnte Tag (Montag, der 05.04.04)
Mein Fall für diese Woche: Unsere Mandantin beschädigt ihr Auto beim Ausparken, indem sie mit einem der auf dem Parkplatz abgestellten Steine kollidiert. Dieser Stein, wie man ihn viel zu häufig an Deutschlands Strassen findet, war nicht wie üblich mit einem Reflektor oder einem sonstigen Beleuchtungsmittel als Warnhinweis versehen. Ausserdem war es an diesem Tag dunkel und diesig, sodass der Stein einfach übersehen wurde. Es gilt nun zu prüfen, inwieweit der Aufsteller (in diesem Falle die Stadt) des Steins zum Schadensersatz aus § 823 BGB verpflichtet werden kann. Hat er diesen Stein zwecks Verkehrsberuhigung oder aus Markierungabsichten dort aufstellen dürfen und welche Verkehrssicherungspflichten obliegen ihm durch das Schaffen dieser Gefahrenquelle. Als Lektüre steht mir der "Haftpflichtprozess" von Geigel zur Verfügung. An diesem Buch haben neben dem Präsidenten des saarl. OLG Rixecker, noch zwei in Saarbrücken ansässige RA mitgearbeitet: Günter Schlegelmilch und Kurt Haag. Da sieht man's mal wieder ;-)An diesem Tag lasse ich das Kapitel über Verkehrsicherungspflichten jedoch erstmal aussen vor und beschäftige mich ganz allgemein mit den Voraussetzungen des § 823.
Der siebzehnte Tag (Dienstag, der 06.04.04)
Halb neun Gerichtstermin: Verkehrunfall verursacht durch fehlende Berücksichtigung des nachfolgenden Verkehrs beim Linksabbiegen. Langsam ist's genug davon. Zurück im Büro lese ich noch ein wenig über Beleuchtungspflicht und fertige dann mein Gutachten zu dem Parkstein-Fall von gestern an. Da ich nun selbst schon negative Erfahrungen mit diesen abscheulichen Steinen gemacht habe fällt mein Gutachten vielleicht etwas einseitig aus. Danach hätte die Stadt allein Schuld am Autoschaden. Der RA empfiehlt mir zur Lektüre ein STVG-Kommentar und weist auf die strengen Anforderungen hin, die dem Autofahrer beim Rückwärtsfahren auferlegt sind. Insofern sollte ich morgen nochmal über ein Mitverschulden gem. § 254 BGB nachdenken.
Der achtzehnte Tag (Mittwoch, der 07.04.04)
Da scherzte ich noch über die Honigverodnung; nun ist es raus: nur zwei Honige bestanden den Test, alle anderen fielen mit "mangelhaft" durch. Entweder wurde da gepanscht oder auch mal etwas gänzlich anderes hinzugetan, was da gar nimmer hineingehört. Ich bin empört.
StVO++++++++++++++§254+++++++++++++
Der neunzehnte Tag (Donnerstag, der 08.04.04)
halb zehn, Gerichtstermin im großen Sitzungssaal für Strafsachen; unser Mandant wird beschuldigt fahrlässig den Tod eines Menschen verursacht zu haben. Der Rechtsanwalt hat seine Krawatte vergessen und wird deshalb hart angefahren. Glücklicherweise hat der Richter noch eine in seiner Stube, die er gerne zur Verfügung stellt. Der Staatsanwalt ist schlichtweg empört. Nur gut, dass er seine Baggypants und seine Turnschuhe noch unter seiner Robe versteckt halten kann.
Der zwanzigste Tag (Freitag, der 09.04.04)
Kar-FREI-Tag
Der letzte Tag (Mittwoch, der 15.04.04)
Ich nehme meine Praktikumsbestätigung in Empfang und verabschiede mich vom ganzen Team.