Jura: Wissenschaft oder Kunstfertigkeit?
Die folgende Diskussion entstand vorlesungsbegleitend zu der Veranstaltung "Einführung in das juristische Denken und Arbeiten", gelesen von Prof. Herberger im Wintersmester 2002/2003 an der Universität Saarbrücken.
Prof. Herberger stellte folgende Frage: "Was studieren wir eigentlich: eine Wissenschaft? Eine Kunstfertigkeit? Oder beides?"
Ich denke, dass wir in erster Linie eine Wissenschaft studieren (Rechtswissenschaft), was sich schon alleine aus der Komplexität der Materie und der Theorielastigkeit des Studiums ergibt. Dabei kommt es weniger auf Kreativität ( im künstlerischen Sinn ) als auf die praktische Anwendung theoretisch gelernten Wissens an, bzw. auf die Übertragung abstrakter Rechtsnormen auf konkrete Lebenssachverhalte, d.h. Fälle.
Ich bin der Meinung, daß die juristische Tätigkeit auch eine "Kunst" ist. Der Anwalt z.B. versucht die Gesetzestexte (wohl eher im Bereich des Zivilrechts als des Strafrechts) zu Gunsten seines Mandanten auszulegen, zu biegen und sicher auch teilweise auszureizen. Denken wir doch alle mal an Ally McBeal. Das Studium hingegen, da muß ich dir Recht geben, ist doch schon stark theorielastig. Hat nicht sogar Professor Jung (?) gesagt, die praktische Anwendung unseres theoretischen Wissens erlernen wir erst während des RechtsReferendariats (die Praktika ausgenommen)?
Wie ich so langsam merke, ist es auch eine Kunst, die Theorie des Studiums so zu inhalieren, dass ich sie später (Examina, Beruf) auch noch anwenden kann. Hier zeigt sich schon der erste Schritt zu Kunst. Wobei alles Definitionssache ist. Was ist überhaupt "Kunst" im juristischen Sinne? Ist ein Plädoyer schon "Kunst"? Oder eher die Anwendung theoretischen Wissens? Nach meiner AG StrafRecht weiß ich, dass Juristen alles unter allem verstehen können - es kommt nur auf die Begriffsdefinition an.
Wir müssten erst mal wissen, ob wir eine gemeinsame Definition der Begriffe "Kunstfertigkeit" und "Wissenschaft" haben... Komplexität und Theorielastigkeit machen doch noch keine Wissenschaft, oder? Ich glaube, dass wir beides in gleichem Maße studieren und auch brauchen werden, weil wir mit theoretischen Kenntnissen nicht sehr weit kommen würden.Ich denke unser Studium ist auf beides ausgelegt:BVR und Strafrecht vermitteln die wissenschaftlichen Grundlagen während sich Denken und Arbeiten und die AG'S mit der Kunstfertigkeit der praktischen Anwendung befassen.Wie definiert man "Wissenschaft"? Jura wird -glaube ich- durch eine bestimmte Art zu denken und arbeiten eine Wissenschaft, die Logik und die eigene Didaktik sind da wichtig. Es ist ja noch mehr als einfach nur eine Wissenschaft: Es ist eine Geisteswissenschaft.
Ich glaube nicht, dass Professor Herberger "Kunst" wie Musik oder Literatur gemeint hat, als er von "Kunstfertigkeit" sprach. Ich schließe mich meinem Vorredner also an und finde ebenfalls, dass wir beides zu gleichen Teilen studieren und internalisieren müssen. Natürlich, denke ich, kann man bei Jura vieles wissenschaftlich erklären, Beispiele anführen, historische Zusammenhänge darstellen, Fakten abwägen usw. Man muss gut analysieren und nachforschen können, sehr viel Erfahrung und Wissen haben, um ein guter Jurist zu sein. Aber das alles nützt nichts, kann man es nicht anwenden. Und darin, also im Reden, im Sich-Darstellen, liegt meiner Meinung nach der Faktor Kunstfertigkeit bei Jura. Beides ist gleichermaßen wichtig, und nur, wenn wir beides gut miteinander kombinieren, können wir Erfolg haben.
Meiner Meinung nach studieren wir die Theorie, die wir später brauchen um die Kunstfertigkeit der Rechtsanwendung im praktische leben zu beherrschen. Jede Kunstfertikeit setzt voraus, dass man sich an gewisse Regeln, Theorien und Maßstäbe hält. Und ohne diese zu beherrschen, kann man seine Kunstfertigkeit nicht ausbilden.
Mal eine ganz andere These: Jura ist weder Kunst noch Wissenschaft sondern einfach nur ein Handwerk?! Was sagt Ihr dazu?
Grundsätzlich verbinde ich mit "Handwerk" praktische, nahezu ausschliesslich (schwere) körperliche Arbeit, der keine Theorie, sondern Erfahrungswerte zugrunde liegen. Aber mal ganz davon abgesehen, finde ich dass der klassische Begriff des Handwerks heute etwas veraltet ist. Wo und wer lernt denn heute noch irgendein Handwerk ohne zusätzlich noch theoretische Grundlagen wie z.B. Buchführung o.Ä. zu machen? Deshalb finde ich auch nicht, dass ein Studium einen Menschen aufwertet oder besser macht als jemanden, der "nur" Handwerker ist.
Was ist denn der "klassische Handwerksbegriff"? Was kann man darünter verstehen? Soll ich nicht in meinem Studium lernen, mit meinen Werkzeugen (den Gesetzen) so umzugehen, dass ich innerhalb einer bestimmten Zeit ein Werk (z.B. Gutachten oder Urteil) fertigen kann, welches der gewöhnlichen Art und Weise entspricht? Wird nicht genau das geprüft? Findet im Studium eine Wissensüberprüfung oder eine Wissenschaftsüberprüfung statt? (RA)
Ob Rechtswissenschaft wirklich eine Wissenschaft ist, lässt sich nur feststellen, wenn man den Wissenschaftsbegriff einheitlich definiert. Geht man z.B. mit dem BundesVerfassungsGericht davon aus, dass Wissenschaft der ernsthafte Versuch der Ermittlung der Wahrheit anzusehen ist, was ist denn bitteschön nun die "Wahrheit", nach welcher die Juristen streben? Eigentlich ist Jura ja nur die Anwendung und Ergänzung von Konstruktionen, die von Menschen geschaffen wurden, um ein friedliches Miteinander zu ermöglichen. Insoweit besteht natürlich eine Ähnlichkeit zu dem "Handwerker", der versucht, den Bestand eines Hauses zu sichern, welches Wärme und Heimat bietet. Insoweit ist der Jurist Handwerker. Ob jetzt Handwerker, Künstler und Wissenschaftler sich gegenseitig ausschließen, kann man bezweifeln. Auch Handwerker können sich an ihrem Objekt künstlerisch verwirklichen, und bei manchen juristischen Winkelzügen könnte man auch meinen, dass es schon eine Kunst sei, das Recht so zu verbiegen.
Gelehrt werden sollte die Kunstfertigkeit, aber gelehrt wird die Wissenschaft.
In den Amerikanischen Filmen kommen mir die Gerichtsverhandlungen wie eine Ersatzreligion und die Richter wie Ersatzheilige vor.
Da mir aber Vergeben und nicht Richten göttlich erscheint, halte ich diese Filme für eine bewußte Irreführung .~ErnstGruber
jura ist die kunst mit all dem wissen fertig zu werden ohne die eigene phantasie zu verlieren...
Auch "Computer-Ethik" und "Philosophie der Information" haben rechtliche Bezüge, vgl. LAWgical vom 2004-03-16 (siehe auch http://www.kulturbotschaft.de/groetker/information_groetker.pdf)
Nur, weil sich die Rechtswissenschaft nicht der Wahrheit widmet, muss sie das noch nicht als Wissenschaft ausschließen. Auch Literaturwissenschaft, Kunstgeschichte oder Medizin widmen sich nicht - oder nicht primär - der Wahrheit. Ihnen allen eigen ist aber der Versuch der Systematisierung, also der Produktion eines kohärenten Begriffssystems. Und das versucht auch die (dogmatische) Rechtswissenschaft zu leisten.
Jura schafft kein Wissen also ist auch keine Wissenschaft.