Aberratio ictus - Fehlgehen der Tat
Die aberratio ictus (lat. abgelenkter Pfeil) ist das Fehlgehen der Tat.
Es handelt sich dabei um Fälle, in denen der Täter seinen Angriff auf ein von ihm individualisiertes Tatobjekt lenkt (Zielobjekt), der Verletzungserfolg jedoch an einem anderen Tatobjekt (Zweitobjekt) eintritt.
Beispiel 1:
T möchte seinen Erbonkel E mit Pfeil und Bogen erschießen. Da es sehr windig ist wird der Pfeil abgelenkt und trifft den zufällig vorbeilaufenden O.
Beispiel 2:
A lauert seinem Feind C auf. Als B vorbeikommt hält er ihn für C und schießt. Der Schuß verfehlt knapp den B und trifft den C der gerade um die Ecke kam.
Beispiel 3:
Der kurzsichtige T will den Jäger J erschießen. In Tötungsabsicht schießt er auf J, das Projektil schlägt in eine Eiche ein.
Beispiel 4:
T lauert seinem Feind O auf um ihn zu töten. Als er ihn inmitten einer Menschenmenge entdeckt, gibt er mehrere Schüsse auf ihn ab, wobei er billigend in Kauf nimmt, dass andere verletzt werden. A wird von den Schüssen schwer verletzt.
Das Fehlgehen der Tat wird von folgenden Lehrmeinungen unterschiedlich gelöst:
"Konkretisierungstheorie" (wohl herrschende Meinung): Der Vorsatz hat sich im maßgebenden Vorsatzzeitpunkt auf das anvisierte Opfer fokussiert und besteht nur bezüglich des Zielobjekts. Es ist bezüglich des anvisierten Zielobjekts eine Versuchstat und bezüglich des Zweitobjekts Fahrlässigkeitstat zu prüfen.
Lösung Fall 1:
Zu prüfen ist die versuchte Tötung des E und die fahrlässige Tötung des O. Lösung Fall 2: Zu prüfen ist die versuchte Tötung des B und die fahrlässige Tötung des C. Lösung Fall 3: Zu prüfen ist die versuchte Tötung des J. (Sachbeschädigung ist kein Fahr- lässigkeitstatbestand und deshalb nicht zu prüfen.)
"Formelle Gleichwertigkeitstheorie": - Bei Gleichwertigkeit der Rechtsgüter: Bestrafung aus vollendeter Vorsatztat. - Bei Ungleichwertigkeit: Wie Konkretisierungstheorie.
Lösung Fall 1: Zu prüfen ist die Tötung des O aus vollendeter Vorsatztat. Lösung Fall 2: Zu prüfen ist die Tötung des C aus vollendeter Vorsatztat. Lösung Fall 3: Zu prüfen ist die versuchte Tötung des J. (Sachbeschädigung ist kein Fahrlässigkeitstatbestand und deshalb nicht zu prüfen.)
"Adäquanztheorie": - Bei Vorhersehbarkeit der Abirrung bei gleichwertigen Rechtsgütern:
- Bestrafung aus vollendeter Vorsatztat am verletzten Objekt.
- Bei Unvorhersehbarkeit der Abirrung oder ungleichwertiger Rechtsgüter:
- Wie Konkretisierungstheorie
Lösung Fall 1:
Vorhersehbarkeit (+), da Pfeile bei Wind ihr Ziel regelmäßig verfehlen. Es ist somit vollendete vorsätzliche Tötung des O zu prüfen.
Lösung Fall 2:
Anhaltspunkte für Vorhersehbarkeit sind z.B.: bewegtes Ziel, schlechte Sicht, Menschenmenge, Aufregung. Nimmt man die Vorhersehbarkeit an: Vollendete vors. Tötung des C
Lösung Fall 3: Zu prüfen ist die versuchte Tötung des J. (Sachbeschädigung ist kein Fahrlässigkeitstatbestand und deshalb nicht zu prüfen.)
Lösung Fall 4 anhand der Konkretisierungstheorie:
- Eine "abberatio ictus" ist nicht gegeben, wenn der Täter das Fehlgehen seines Angriffs für möglich hält. Hat er sich mit der Verletzung des Zweitobjekts abgefunden, hat er in soweit mit Vorsatz in der Erscheinungsform des "dolus eventualis" gehandelt. Zu prüfen ist somit eine versuchte Tötung des O und eine vorsätzliche gefährliche Körperverletzung des A.