Inhaltsverzeichnis
Was passiert eigentlich, wenn jemandem etwas in einem WikiWikiWeb nicht gefällt und er auf die Idee kommt, eine AbMahnung zu verschicken?
1. Gibt's sowas wirklich?
1.1. JuraWiki
Dass jemand Anstoß nimmt an Inhalten im JuraWiki, das gibt es schon. Normalerweise klickt man dann auf "restaurieren" und entfernt die betreffenden Änderungen oder auf "editieren" und löscht die betreffende Passage. Damit ist die Sache in der Regel dann auch erledigt.
In den mehr als sechs Jahren seit Bestehen des JuraWiki kam es erst zweimal zu einer Art Eskalation. Aber auch das ging glücklicherweise immer friedlich ab:
Einmal gab es ein klärendes Gespräch mit dem Dekanat der juristischen Fakultät, nachdem ein Professor sich über Äußerungen auf einer Seite zur Vorlesung (siehe VorlesungImJuraWiki) beschwert hatte.
Ein anderes Mal beanstandete ein juristischer Verlag, dass Inhalt aus einem seiner Bücher übernommen worden seien und bat um Quellenangabe bzw. Entfernung - eine Bitte, der wir natürlich sofort nachkamen (siehe MindMapping).
1.2. Wikipedia
Bei Wikipedia, so hört man und das erscheint auch durchaus plausibel, gibt es des öfteren Abmahnungen. OffeneFrage: Lässt sich das irgendwie quantifizieren?
Dort liegt die Sache aber etwas anders, da der Anbieter, die Wikimedia Foundation, in den USA sitzt, was die Sache unangenehm kompliziert macht.
In Deutschland greifbar ist lediglich die Domain wikipedia.de (Domaininhaber: Arne Klempert, bzw. der Wikimedia Deutschland e. V., dessen Geschäftsführer er ist).
So gab es im Fall "Tron" eine einstweilige Verfügung gegen den Wikimedia Deutschland e. V. (siehe LAWgical vom 21.01.06), was auch zur zeitweisen Stilllegung von wikipedia.de führte. Allerdings handelt es sich dabei nur um eine Weiterleitung auf de.wikipedia.org, worüber Wikipedia weiterhin erreichbar war (siehe hierzu schon LAWgical vom 06.11.03).
Sehr lehrreich auch der Fall Heilmmann, siehe hierzu etwa Telemedicus vom 16.11.08.
1.3. andere Wikis
Marcel Bartels erhielt eine AbMahnung, wie er im WebLog "Mein Parteibuch" berichtet (Beitrag vom 25.08.06):
- "Sigmar Gabriel stört sich an der wohl satirisch gemeinten Bildunterschrift eines Bildes von sich, dass irgendjemand aus dem Artikel des Baseblogs 'Fat Siggy - Bald weg?' kopiert, in das Parteibuch Wiki hochgeladen und in den Wiki-Artikel zu VW eingebunden hat."
Mir ist ein Fall bekannt, in dem der Betreiber bzw. eigentlich nur der Hoster eines Wikis abgemahnt wurde. In diesem Fall konnte man sich aber letztlich außergerichtlich einigen. Ich weiß nicht, ob den Beteiligten das Recht ist, wenn das hier breitgetreten wird, weshalb ich das auch nicht tue. -- RalfZosel 2007-01-14 15:59:56
Fingiertes Interview mit Horst Herold, http://www.daten-speicherung.de/index.php/keine-abmahnkosten-bei-nutzergenerierten-inhalten/
2. Wer beschäftigt sich noch mit solchen Fragen
Die Abmahnung von Mein Parteibuch (siehe Beitrag vom 03.05.06) wird sogar in einem Wiki seziert.
Und es gibt ein Abmahn-Wiki, in dem es aber interessanterweise nur um "Informationen und Selbsthilfe gegen ungerechtfertigte Abmahnungen von Bloggern und Forenbetreibern", nicht aber von Wikis geht. Abgesehen davon ist dieses Wiki nie richtig in Schwung gekommen, im letzten 3/4 Jahr gab es nur ca. 20 Einträge.
Es gibt inzwischen einige Fälle von WebLog-Abmahnungen. Spektakulär ist der M.A.N.-Fall, siehe strafblog vom 07.01.07.
2.1. AktionWikiAbmahnung im JuraWiki
Jetzt nehmen wir uns im JuraWiki des Themas "Abmahnung von Wikis" an und starten die AktionWikiAbmahnung. Wir wollen einerseits die Erkenntnis verbreiten, dass man Wikis besser nicht abmahnt (dazu unten mehr) und andererseits wollen wir für den Fall gerüstet sein, dass sich mal jemand dieser Erkenntnis verschließt.
3. Abmahnung von Wikis im Detail
3.1. Fallgruppen
Welche Konstellationen sind denkbar, in denen jemand Anstoß an Inhalten im Wiki nimmt?
ToDo: unterscheiden zivilrechtlich/strafrechtlich
- Schutz des Persönlichkeitsrecht
- Äußerungsdelikte: Beleidigung, ...
- geschäftsschädigende Äußerungen
- Markenrechtsverletzung
- Urheberrechtsverletzung
- urheberrechtlich geschütztes Material wird ins Wiki kopiert
- jemandem gefällt nicht, was mit "seinen" Texten, die er ins Wiki geschrieben hat, passiert
- Verbreitung pornographischer/jugendgefährdender Inhalte
- Verbreitung verfassungsfreindlicher Symbole
- ...
Vieles davon ist wohl eher theoretisch. Zumindest der erste Punkt, dass also jemand eine angebliche Beleidigung beanstandet hat, ist aber schon tatsächlich vorgekommen (s. o.), ebenso wurde die Verletzung des (postmortalen) Persönlichkeitsrechts durch Namensnennung beanstand (Fall Tron).
3.2. Alternativen zur Abmahnung
In einem Wiki kommen Einträge, die in eine der vorgenannten Fallgruppe zuzuordnen sind, gar nicht oder fast gar nicht vor. Sollte dies aber doch einmal der Fall sein, dann halten sich in einem lebendigen Wiki solche Einträge in der Regel nur sehr kurz, weil es genügend Leute gibt, die die Liste der AktuelleÄnderungen regelmäßig durchsehen und auf "restaurieren" oder "editieren" klicken. Sollte also z. B. mal jemand beleidigt werden (was in der Praxis wie gesagt fast nie vorkommt), werden dies die meisten Leser und auch der Betroffene selbst normalerweise gar nicht erst erfahren, weil schon der nächste Leser die Beleidigung sofort aus der Welt schafft.
Löscht man etwas von einer Seite, ist das für den "normalen Leser" verschwunden. Im Wiki ist das allerings so eingerichtet, dass jede Änderung nachvollziehbar bleibt. Wer sich also die Mühe macht, in die Versionshistorie zu schauen, der kann sehen, wann was eingefügt und wann was gelöscht wurde. Suchmaschinen erfassen die alten Versionen allerdings nicht mehr (ToDo: nachsehen, wie das technisch sichergestellt wird) und auch die interne Suche berücksichtigt nur die jeweils letzte Version.
Kaum jemand macht sich die Mühe, nach alten Versionen im Wiki zu forschen. Wird allerdings auf die Differenzsicht verlinkt (ToDo: Beispiel einfügen), dann wird die alte Version wieder sichtbar. Wobei man dann halt auch einfach diese Verlinkung löschen könnte ...
Wer nun also Wert darauf legt, dass eine Äußerung gänzlich verschwindet, der sollte Kontakt mit dem Betreiber/Admin des Wikis aufnehmen. Auf Systemebene lassen sich alte Versionen sehr leicht löschen.
Es ist also sehr einfach, etwas aus einem Wiki zu entfernen. Wer dennoch nicht selbst Hand anlegen will, der kann auch eine E-Mail an den Betreiber/Admin des Wikis schreiben, der das dann üblicherweise sofort erledigen wird.
Eine Abmahnung ist in der Regel also völlig überflüssig und verursacht nur unnötig Ärger und Kosten1. Viel einfacher und schneller (!) geht das wie oben beschrieben.
Es ist zu wünschen, dass sich diese Erkenntnis verbreiten wird. Dennoch wollen wir mal überlegen, wie es weitergeht, wenn jemand nun partout per Abmahnung vorgehen will.
3.3. Wen abmahnen?
Folgende Personen kommen als Adressaten möglicherweise in Frage:
- Der Urheber der zu beanstandenden Äußerung.
Der im Impressum als Verantwortlicher genannt wird.
- Der Inhaber der Domain, zu erfragen über Denic o. ä.
Der Admin-C (Störerhaftung, mittlerweile aber größtenteils von Rspr. abgelehnt, zur Wikipedia: LG Köln, Az. 28 O 334/07)
3.4. Haftung
Selbstverständlich haftet der Urheber zu beanstandender Äußerungen. Wenn man sich also wirklich die Mühe einer AbMahnung machen will (siehe schon oben "Alternativen zur Abmahnung"), so ist ein Vorgehen gegen den Urheber einigermaßen erfolgversprechend. Sofern man den ermitteln kann …
Mit der Frage der Haftung des Betreibers eines Wikis am Beispiel von Wikipedia anlässlich des oben bereits genannten Falles Tron beschäftigt sich eingehend
- Ingo Strauß, Rechtliche Verantwortung für Wikipedia - Der Fall "Tron" war erst der Anfang, ZUM 2006, 274-283
(siehe hierzu die Rezensionen von Eric Steinhauer hier und hier.)
Hier mal die Kurzfassung (ToDo: weiter ausführen):
Wikipedia ist ein Mediendienst i. S. d. § 2 Abs. 2 Nr. 2 MDStV. Sowohl die Nutzer (Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG), als auch der Anbieter (Rundfunkfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG) können sich auf Grundrechte berufen. Gemäß § 6 MDStV haftet der Anbieter nur für eigene Inhalte und für fremde Inhalte, die er sich zu eigen macht, was bei den Artikeln im Wiki nicht der Fall ist.
- Auch wenn man ein Wiki als Teledienst einordnet, ändert sich am Ergebnis wegen der weitgehend gleichlautenden Regelungen nichts.
Somit greift das Haftungsprivileg der §§ 7 bis 9 MDStV. D. h. eine Haftung für fremde Inhalte besteht erst ab Kenntnis.
Erlangt der betreffende erst mit der AbMahnung Kenntnis von dem Rechtsverstoß, genügt es, wenn er den betreffenden Eintrag beseitigt - was ja im Wiki auch kein Problem ist. Um sicher zu gehen sollte man die alten Versionen ebenfalls löschen. Eine Sicherungskopie für Beweiszwecke dürfte wohl nicht schaden.
Nachteil beim Löschen der alten Versionen ist, dass dann nicht nachvollziehbar ist, was eigentlich gelöscht wurde, was zu Irritationen im der anderen Teilnehmer führen kann. Man könnte sich auch auf den Standpunkt stellen, dass man eine bestimmte Äußerung ja gerade nicht verbreitet, wenn sie sozusagen durchgestrichen ist.
Ob die Haftungspriviligierungen des TDG bzw. MDStV auch auf Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche im Rahmen der Störerhaftung Anwendung finden ist umstritten2. Voraussetzung ist aber in jedem Fall auch die Zumutbarkeit der Verhinderung oder Beseitigung der Rechtsverletzung. Gerade bei nichtkommerziellen Diensten, die sich auf die Informationsvermittlung an die Allgemeinheit richten und zudem auch die grundrechtlichen Gewährleistungen aus Art. 5 I 2 GG für sich beanspruchen können, müssen "gewichtige Gründe" vorliegen, um einen Unterlassungs- oder Beseitigungsanspruch stattzugeben3.
vgl. auch AG Hamburg, Urteil v. 08.01.2008 - Az.: 36A C 124/07
3.5. Unterlassungserklärung
Verbunden mit der Aufforderung zur Beseitigung des Eintrags ist üblicherweise die strafbewehrte Erklärung, zukünftig die Verbreitung der beanstandeten Äußerung wörtlich und sinngemäß zu unterlassen.
Wenn man für das "Verbreiten" genügen lassen würde, dass jemand fremdes wieder eine solche Äußerung im Wiki einträgt, dann kann ein Wikibetreiber eine solche Erklärung natürlich nicht unterschreiben, es sei denn dass er die Editier-Funktion im Wiki komplett deaktiviert, d. h. das Wiki stilllegt.
Wirksame technische Blockaden sind kaum vorstellbar.
- Möglicherweise könnte man z. B. bestimmte Namen auf die "Blacklist" setzen, d. h. Artikel lassen sich nicht mehr abspeichern, solange ein solcher Name vorkommt. Das lässt sich aber sehr leicht umgehen, indem der Name geringfügig variiert wird o. ä. Außerdem behindert das die anderen Nutzer, die z. B. über jemanden gleichen Namens schreiben wollen.
Zur Frage der Zumutbarkeit siehe auch OLG Hamburg, Urteil vom 22.05.07, Az.: 7 U 137/06, http://www.dr-bahr.com/news_det_20070610101722.html
3.6. Kosten
Welche Kosten anfallen ist abhängig davon, welcher Streitwert angesetzt wird. Im Fall Tron war der StreitWert auf 600,00 € festgesetzt worden.
In dem anderen oben erwähnten Fall war man in der Abmahnung von 5.000 € Streitwert ausgegangen.
Das Prozesskostenrisiko kann z. B. hier ermittelt werden: http://prozesskostenrechner.de
Die Bundesregierung plant laut Pressemitteilung des BMJ vom 24.0.07, bei "einfach gelagerten Fällen mit einer nur unerheblichen Rechtsverletzung außerhalb des geschäftlichen Verkehrs" die erstattungsfähigen Anwaltsgebühren für die Abmahnung auf 50 Euro zu begrenzen. Kritisch dazu Thomas Klotz, RA-Blog vom 27.01.07.
4. Ergebnis
Auch wenn eine Abmahnung in der Praxis äußerst selten vorkommt, in der Regel völlig überflüssig ist (s. o. "Alternativen zur Abmahnung") und außerdem der Betreiber eines Wikis wegen der Haftungsprivilegierung im Ergebnis auch gar nicht haftet (s. o. "Haftung") und letztlich der Abmahnende die Kosten übernehmen muss, so besteht für den Betreiber eines Wikis doch ein gewisses finanzielles Risiko:
Zunächst einmal muss der Betreiber für evtl. eigene Anwaltskosten in Vorleistung treten. Möglicherweise setzt sich die erste Instanz nicht sorgfältig genug mit der Rechtslage auseinander4, so dass der Betreiber weiteres Geld in die Hand nehmen muss. Mit viel Pech kommt er auch in der zweiten Instanz nicht zu seinem Recht. Das Prozesskostenrisiko beträgt bei entsprechend hoch angesetztem Streitwert schnell ein paar Tausend Euro.
Um dieses Risiko zu minimieren wird die AktionWikiAbmahnung gestartet.
5. Weiterführende Links
Simon Möller, Wie wehrt man sich gegen Persönlichkeitsverletzungen auf Wikipedia?, Telemedicus vom 22.12.08
Thomas Seifried, Plattformen, Foren, Blogs – Die Haftung der Betreiber für den Content der Nutzer, http://www.gewerblicherrechtsschutz.pro/index.php?id=internetplattform_haftung
Fußnoten:
Wobei der Abmahnende letztlich auf den Kosten sitzen bleibt, wie noch zu zeigen sein wird. (1)
ausführlich dazu Ingo Strauß, Rechtliche Verantwortung für Wikipedia - Der Fall "Tron" war erst der Anfang, ZUM 2006, 282. (2)
bezogen auf Wikipedia Ingo Strauß, Rechtliche Verantwortung für Wikipedia - Der Fall "Tron" war erst der Anfang, ZUM 2006, 282. (3)
vgl. hierzu etwa die Schilderungen von Martin Bahr in dem [http://www.dr-bahr.com/news_det_20070120113406.html Beitrag vom 20.01.07.] (4)