1. Gerd Seidel, Die Grenzen der richterlichen Unabhängigkeit, AnwBl 6/2002

Beim WikiTreffen/2004-11-24 gab es eine Diskussion zur RichterlicheUnabhängigkeit am Beispiel von Gerd Seidel, Die Grenzen der richterlichen Unabhängigkeit, AnwBl 6/2002, S. 325 ff. (siehe auch Frage 79 bei http://ruessmann.jura.uni-sb.de/Schild/fragen.htm und Frage 139 auf VorlesungSb/GerichtsVerfRecht/FragenKatalog). Dort steht:

Was juris nicht weiß: Dieser Aufsatz wird u.a. zitiert von R. Schmidt, Fehlurteile - "Im Namen des Volkes"? - "Richterrecht" in Deutschland, http://www.vorwaerts.de/meinungen.php/mId/40, Fn. 5 und VSHW - Verein zum Schutz der Haus- und Wohnungskäufer e.V., Fehlurteile - "Im Namen des Volkes"? - "Richterrecht" in Deutschland, http://www.vshw.de/fehlurtl.htm, Fn. 7.

Wo ist diese Entscheidung veröffentlicht?

2. Süddeutsche Zeitung

Die Süddeutsche Zeitung gibt's eventuell hier zu kaufen: http://www.genios.de/psgenios/fn/page/sfn/genios/pid/460/index.html Wir suchen in der SZ nach "Idstein". Unser Treffer ist Treffer Nr. 21, hat 37 Zeilen und kostet 2,25 Euro.

Leider konnten wir das nicht mit "Web-Cents" kaufen. Nach Eingabe der Bezahldaten kam einfach ein weißer Bildschirm. :-( Wir wollten das jetzt mit Kreditkarte bezahlen, aber sollen wir das wirklich über eine nicht verschlüsselte Verbindung tun? PhilippHujo sagt ja :-) und bekommt von jedem der Anwesenden vom WikiTeamSb 0,50 Euro.

Jetzt haben wir also den SZ-Artikel. Und da steht:

Süddeutsche Zeitung vom 06.09.2000 Seite 12 (Region Bayern), Seite 12 (Region Deutschland)

VERMISCHTES
Hessische Zeugung Richter bescheinigt einer Frau in Idstein "unbefleckte Empfängnis"
Richter bescheinigt einer Frau in Idstein "unbefleckte Empfängnis"

Idstein (ddp) - Ein Richter am Amtsgericht im hessischen Idstein hat einer Angeklagten eine
"unbefleckte Empfängnis" bescheinigt. Die von ihrem früheren Ehegatten in einem Unterhaltsstreit
angeklagte Frau müsse vom Küssen mit einem Fremden schwanger geworden sein, urteilte der Richter,
wie die Frankfurter Rundschau berichtete. (...)

Keine genaue Fundstelle. :-( Wir könnten jetzt natürlich bei der ddp nachfragen. Oder doch lieber gleich beim Amtsgericht Idstein. Oder wir versuchen es erstmal bei juris. Dort gibt es 12 Entscheidungen vom Amtsgericht Idstein, aber keins das passt. Schauen wir in der hessischen Entscheidungsdatenbank. Dort gibt es aber keine Entscheidung des AG Idstein. :(

3. Entscheidung besorgen beim AG Idstein

3.1. Mails an AG Idstein

3.1.1. an die online-Redaktion

Sehr geehrte Damen und Herren,

wir sitzen hier gerade an der Universität Saarbrücken am Lehrstuhl für Rechtsinformatik von Prof. Herberger beim WikiTreffen (http://www.JuraWiki.de/WikiTreffen) und diskutieren über die richterliche Unabhängigkeit.

In diesem Rahmen sind wir über eine juris-Recherche auf das Urteil eines Richters am AG Idstein gestolpert, der die Möglichkeit einer unbefleckten Empfängnis zur Grundlage seiner Entscheidung in einer Familiensache gemacht hat.

Da sich dieser Fall zur Behandlung der Materie "richterliche Unabhängigkeit" geradezu anbietet, haben wir auch eine eigene Seite dazu angelegt: http://www.JuraWiki.de/UnbefleckteEmpfängnis , auf der wir auch sehr gerne direkt auf den Urteilstext verweisen würden.

Da wir den kompletten Urteilstext aber nirgendwo finden konnten, fragen wir auf diese Weise an, ob Sie uns den Urteilstext entweder per Post schicken oder uns eine entsprechende Fundstelle angeben könnten.

Wir bedanken uns sehr herzlich für Ihre Bemühungen und verbleiben

mit freundlichen Grüßen aus Saarbrücken

WikiTeamSb, i.A. MeikeSchneider

3.1.2. an den Direktor

Sehr geehrte/-r (Entschuldigung ;-) ) R. Wild,

vielen Dank für Ihre mail.

Ich freue mich natürlich sehr, dass Sie bereit sind, mir den Beschlusstext zuzusenden.

Wir hörten von dem Beschluss in der Vorlesung "Gerichtsverfassungsrecht", die Herr (Staatssekretär im saarländ. Justizministerium) Schild gelesen hat, der unter anderem an diesem Beispiel die richterliche Unabhängigkeit erläuterte.

Wir saßen nun letzten Mittwoch am Lehrstuhl Herberger (der "Logik für Juristen" liest) zusammen und haben über das Urteil gesprochen. Dabei fanden wir es weder wissenschaftlich noch fair, über einen Text zu sprechen und zu streiten, der nicht im Original, ja noch nicht einmal in der Vollversion aufzutreiben war. Nach ausgedehnten juris- und Zeitungsrecherchen (Süddeutsche und Frankfurter Rundschau) haben wir beschlossen, Sie direkt anzuschreiben und dazu auch eine eigene WikiSeite anzulegen, um den gesamten Vorgang zu dokumentieren (http://www.JuraWiki.de/UnbefleckteEmpfängnis) und so zuerst die Suche nach dem Quellentext und dann die Diskussion transparent zu machen.

Wir möchten uns keineswegs über den "beschließenden Richter" lustig machen oder ihn in irgendeiner Form bloßstellen; wir möchten über Quellensuche, Quelleninterpretation, juristische Argumentation und juristische Logik sprechen, streiten und lernen. Aber natürlich sind zwei oder drei völlig aus dem Zusammenhang gerissene Bemerkungen definitv zu wenig, um den Beschluß insgesamt würdigen zu können, mit all den Untertönen, die er vielleicht vermittelt, und die für einen bestimmten Zweck der Berichterstattung entweder überlesen oder gar unterschlagen wurden.

Sie (und natürlich auch der Kollege, über dessen Beschluß wir sprechen möchten!) sind herzlich eingeladen, entweder diese Diskussion auf der oben genannten WikiSeite zu verfolgen oder, wenn Sie möchten, auch gerne selbst teilzunehmen! Für Rückfragen, die die Wiki-Technologie betreffen oder auch sonstige Fragen, Wünsche und Anregungen, stehen Ihnen gerne das WikiTeamSb (http://www.JuraWiki.de/WikiTeamSb), der Initiator des JuraWiki Ralf Zosel (http://www.JuraWiki.de/RalfZosel) und natürlich ich selbst (http://www.JuraWiki.de/MeikeSchneider) zur Verfügung.

[... Kontaktdaten]

Ich freue mich, von Ihnen zu hören und sende Ihnen

viele Grüße aus dem Saarland

MeikeSchneider

3.2. Antwort aus Idstein

Heute (30.11.2004) ist der Beschlußtext gekommen.

Ich zitiere auszugsweise:

"Beschluß vom 10.08.2000 in der Strafsache gegen XXX (geschwärzt) wegen Verdachts der uneidlichen Falschaussage, Aktenzeichen 10 JS 5933.5/98 2 DS

Der Antrag der Staatsanwaltschaft auf Zulassung der Anklage vom 11.12.1998 und Eröffnung des Hauptverfahrens wird zurückgewiesen.

Gründe

Die StA wirft der Angeschuldigten vor, am 02.10.1997 in Idstein als Zeugin vor Gericht uneidlich falsch ausgesagt zu haben."

folgt: Zitat aus dem konkreten Anklagesatz; inhaltlich in etwa folgendes:

Die Angeschuldigte war verheiratet gewesen, wurde schwanger und behauptete, das Kind sei von ihrem Ehemann gezeugt worden.

In einem Zivilprozess um die Vaterschaft stellte sich per Vaterschaftsgutachten heraus, dass das wohl nicht so ganz der Wahrheit entsprach ;) ; weil sie aber in diesem Zivilprozess behauptet hatte, in der Zeugungszeit "ausschließlich mit dem Zeugen [dem damaligen Ehemann und angeblichen Kindsvater] geschlechtlich verkehrt" zu haben, wollte sie die StA jetzt in einem Strafprozess wegen uneidlicher Falschaussage drankriegen.

Dann zitiert der Beschluß, was die Angeschuldigte "durch ihren Verteidiger mit Schriftsatz vom 25.02.1999 hat vortragen lassen":

Sie habe ausschließlich Geschlechtsverkehr mit ihrem damaligen Ehemann gehabt, nicht aber mit dem "Herrn aus Hamburg" [sic]. Zum Beweis dieser Tatsache benenne man den "Herrn aus Hamburg" - nicht etwa, dass man den Namen wüßte, aber dieser sowie die Adresse des "Herrn aus Hamburg" könne man ganz leicht rausfinden, in dem man einfach im Gästebuch der Pension nachsehe. Und dann solle man ihn bitte laden, denn er sei ja "objektiv ermittelbar", und dann werde er das natürlich auch bestätigen, und damit sei der Beweis erbracht, dass die Angeschuldigte KEINEN ... eben. Und überhaupt: "Da es beim unbekleideten Herumknutschen im Hotelzimmer nicht zu einer für die Angeschuldigten erkennbaren Ejakulation gekommen sei, ging die Angeschuldigte in der Beweisaufnahme ihren Angaben gemäß davon aus, dass der Vater des Kindes nur der Ehemann, mit dem sie in der Empfängniszeit ausschließlich ..." - genau.

Der Beschluß zitiert den Vortrag des Verteidigers weiter: "Unterstellt man, dass das eingeholte Sachverständigengutachten im Vaterschaftsprozess mit hinreichender Sicherheit zu einer Verneinung der Vaterschaft des damaligen Ehemanns gekommen ist, ergibt sich als einzige Möglichkeit einer Befruchtung, dass beim Herumknutschen - wobei es nicht zum Geschlechtsverkehr gekommen ist - Sperma in die Scheide der Angeschuldigten gelangte und dort zu einer Befruchtung führte."

Weiter sagte der Verteidiger: "Die Angeschuldigte war vom Ausgang des Zivilprozesses und des Sachverständigengutachtens selbst überrascht." [die Gute, wo sie doch nie ...] "Die einzige Möglichkeit, das Ergebnis des Gutachtens nachträglich erklärbar zu machen, besteht darin, dass es beim 'Herumknutschen' der entkleideten Angeschuldigten mit dem 'Herrn aus Hamburg' zu einer der Angeschuldigten nicht erkennbaren Spermaübertragung und daraus einhergehenden Befruchtung gekommen ist."

Soweit der Vortrag des Verteidigers. Dazu meint dann der vorsitzende Richter:

"Nach allem war zu entscheiden wie geschehen.

Die Einlassung der Angeschuldigten kann nämlich nicht mit der erforderlichen Sicherheit widerlegt werden.

Es ist zwar der Regelfall, dass Schwangerschaften - von künstlichen Befruchtungen abgesehen - durch die Vollziehung des Geschlechtsaktes zustande kommen. Ausnahmen, wie hier in den Raum gestellt, sind wissenschaftlich aber ebensowenig auszuschließen wie das sehr seltene Phänomen [sic!] der Parthogenese, auf welchem immerhin die Kulturgeschichte des christlichen Abendlandes zu einem nicht unerheblichen Teil beruht.

Da folglich nicht mit der für eine Verurteilung erforderlichen Sicherheit davon ausgegangen werden kann, dass die Einlassung der Angeschuldigten falsch ist und in einer Hauptverhandlung zu widerlegen sein wird, waren die Zulassung der Anklage und die Eröffnung des Hauptverfahrens abzulehnen."


UnbefleckteEmpfängnis (zuletzt geändert am 2008-01-20 19:54:20 durch anonym)